Man sagt, Schuster hätten die schlechtesten Schuhe. Übertragen auf unsere Branche hieße das ja, Unternehmen, die sich auf die Fahne schreiben, großartige und funktionierende Produkte mit sauberer Code-Basis für ihre Kunden zu bauen, haben die schlechtesten selbst geschriebenen internen Produkte. 🤔
In einer Stunde der Wahrheit haben wir uns vor einiger Zeit tief in die Augen geblickt und mussten zugeben: das stimmt leider irgendwie.
Treten wir einen Schritt zurück und betrachten das vollständige Problem. In zeitlich begrenzten Projekten, die wir in Kooperation mit der TU Darmstadt durchgeführt hatten, haben wir gemeinsam mit Gruppen von Studierenden mehrere digitale Produkte für unseren internen Gebrauch entwickelt:
Das erste interne Produkt war unser Bewerbungs-Tool. Aufgrund der neuen Datenschutzbestimmungen von 2018 mussten wir unseren damaligen Bewerbungsprozess umstellen. Ein gründlicher Blick auf den Markt zeigte: Keines der angebotenen Tools zum Bewerbungsmanagement genügte unseren Anforderungen oder konnte auch nur ansatzweise unseren individuellen Bewerbungsprozess abbilden. Also war klar, dass ein eigenes Produkt her muss, das zusätzlich zu den genannten Anforderungen natürlich auch die DSGVO-Anforderungen erfüllt.
Das zweite interne Produkt war das Business Cockpit. Dieses Tool hat unseren komplizierten Prozess, mit dem wir die Auslastung und Chargeability der einzelnen Team-Mitglieder nachhalten, enorm vereinfacht.
Wir verwenden beide Tools nach wie vor sehr aktiv. Da bleibt natürlich nicht aus, dass die ein oder anderen Wachstumsschmerzen und Fehler auffallen, es gibt Feature-Wünsche, die in der kurzen Projektphase mit den Studierenden nicht umgesetzt werden konnten oder Anpassungen an einen neuen Prozess darstellen. Hierfür haben wir viel zu lange unregelmäßig und in wechselnder Besetzung an den nötigsten Baustellen herumgeflickschustert, bis wir festgestellt haben, dass die Qualitätsstandards, die wir normalerweise an unsere Software-Produkte anlegen, hier so gut wie keine Verwendung finden.
Zudem entstanden Wissensinseln bei den coseeanerinnen und coseeanern, die sich schon sehr lange mit den Tools befassen, teilweise sogar im damaligen Studierenden-Team waren oder dieses betreut haben. Ebenjene Entwicklerinnen und Entwickler haben natürlich enormes Wissen, auch über die Historie der Tools. Ohne sie ist eine Weiterentwicklung kaum möglich, die Fehlerbehebung extrem schwierig.
Wie also weiter? Wie schaffen wir es, unser Bewerbungs-Tool und das Business Cockpit auf eine Code-Qualität zu heben, für die wir uns nicht mehr schämen müssen, sondern die unserem eigentlichen Verständnis von hochwertiger Arbeit entspricht und somit auch Wartung und Weiterentwicklung vereinfacht?
“You build it, you run it” – nach dieser Maxime entwickeln wir Software für unsere Kunden. Also haben wir uns überlegt, was wir brauchen, um so endlich auch unsere internen Tools zu entwickeln. Feste Zuständigkeiten, eine gewisse Regelmäßigkeit und Verantwortung für die Themen sind dafür unabdingbar, genau wie Einigkeit und Mehr-Augen-Prinzip bei den verwendeten Technologien.
In einem gemeinsamen Prozess entwickelten wir die Idee der ToolTime. Was verstehen wir unter Tool-Time? In der ToolTime arbeiten feste Teams freiwilliger coseeanerinnen und coseeaner einen ganzen Tag pro Monat ausschließlich an einem der internen Tools, fixen Bugs, implementieren neue Features und passen die Tools an veränderte Prozesse an.
So verlagerten wir das Wissen weg von den Schultern der Einzelpersonen auf einen festen Kreis an Menschen, die sich regelmäßig mit der Materie befassen. Bugfixing und neue Features werden nicht nur auf Zuruf und mit extrem hohem Aufwand neben den laufenden Kunden-Engagements gemacht, sondern finden in regelmäßigen Zyklen statt.
Alle ToolTime-Teams werden von einer unserer Scrum Masterinnen betreut, die während der Mini-Sprints ein Auge auf die Einhaltung der Scrum-Prozesse haben. Ein Product Owner aus dem Kreis der Entwicklerinnen und Entwickler koordiniert das Backlog und priorisiert die Stories für die Sprints.
Was zunächst „nur“ eine Lösung für das Qualitätsproblem war, entpuppt sich in der Praxis als wahrer Segen in weiteren durchaus relevanten Bereichen. Die Freiwilligen üben ihren Umgang mit agilen Methoden in einem weiteren Team. Dadurch festigen sich die Arbeitsweisen und gehen noch mehr in Fleisch und Blut über.
Auch im Onboarding neuer Team-Mitglieder erweist sich die ToolTime als Gewinn: Dadurch, dass die Teams mit lauter Freiwilligen aus unterschiedlichen Kunden-Teams bestückt sind, lernen sich die coseeanerinnen und coseeaner Team-übergreifend besser kennen. Das ist ein hervorragender Ausgleich dafür, dass die Mehrheit der coseeanerinnen und coseeaner aktuell hauptsächlich aus dem Homeoffice arbeitet. Der Team-übergreifende Austausch, der sonst auf den Fluren oder beim gemeinsamen Mittagessen ganz natürlich stattgefunden hat, wurde durch die Pandemie stark gebremst. Die ToolTime hat diesem Austausch wieder neuen Schwung gegeben. Durch diesen zusätzlichen Kanal gelingt ein breiteres Onboarding und ein Ankommen neuer Team-Mitglieder nicht nur im Kunden-Team, sondern direkt in der gesamten Firma.
Außerdem haben wir festgestellt, dass auch die Zufriedenheit der coseeanerinnen und coseeaner gestiegen ist. Das liegt einerseits an der Abwechslung, dass es einen Tag im Monat gibt, an dem sie mal etwas anderes sehen, mit anderen Kolleg:innen und Technologien arbeiten. Aber auch daran, dass sie sich nicht ausschließlich für den jeweiligen Kunden, sondern eben auch für cosee selbst einbringen.
Unser Experiment mit den ToolTimes für das Business Cockpit und unser Bewerbungs-Tool dauert nun bereits etwa neun Monate und wir sind überzeugt, dass wir damit unser ursprüngliches Problem, die durchwachsene Code-Qualität, beheben konnten. Aber wir wären nicht cosee, wenn wir den anderen positiven Entwicklungen, die mit den ToolTimes einhergegangen sind, nicht mindestens genauso viel abgewinnen könnten.
Wir haben es geschafft, die chaotische Löschtruppe, die Brandherde an unseren internen Tools einfach nur aus tritt, in eine funktionierende Freiwillige Feuerwehr zu verwandeln, die routiniert und fachmännisch ihren Dienst verrichtet.