Jeder, der schon mal ein Scrum Team formiert hat, weiß, wie schwierig es ist, passende Entwickler zu finden und einzustellen. Dann auch noch einen geeigneten Scrum Master zu finden, ist meist eine ebenso große Herausforderung.
Wir coseeaner werden oft ungläubig angeschaut, wenn wir erzählen, dass unsere Scrum Master ‚Psychologie‘ oder ‚Psychologie in IT‘ studieren oder studiert haben und nicht ‚Informatik‘. Zuletzt stand unser CTO Konstantin plötzlich im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion auf der W-JAX, als er davon berichtete.
Wieso halten wir es für sinnvoll, Psychologen als Scrum Master einzustellen? Welche Kompetenzen bringen Psychologen als Scrum Master mit? Wie können sie ein Scrum Team bereichern und vorantreiben?
Oft werden einfach Entwickler zu Scrum Mastern gemacht, die dann im schlimmsten Fall weiterhin Software entwickeln. Ein Scrum Master sollte jedoch unparteiisch und inhaltlich nicht zu involviert sein. Nur so kann er jederzeit seiner Rolle im Team gerecht werden. Um gut arbeiten zu können, braucht ein Scrum Master außerdem ausreichend Ressourcen: Er braucht genug Zeit für seine Arbeit und muss frei sprechen und agieren können. In stressigen Zeiten muss der Scrum Master einen kühlen Kopf bewahren und auf der Metaebene denken. Das geht nicht nebenher. Warum also Entwickler zum Scrum Master machen, die zum einen nur halb bei der Sache und zum anderen ohnehin Mangelware sind? Außerdem müsste das Unternehmen den Entwickler zusätzlich ausbilden, sofern es einen Qualitätsstandard einhalten möchte.
Einer der Grundsätze der agilen Arbeitswelt lautet „Individuals and Interactions Over Processes and Tools“. Trotz dieses Credos ist es für viele sehr verwunderlich, dass wir Menschen als Scrum Master in unsere Scrum Teams aufnehmen, die sich mit genau diesen „Individuals and Interactions“ am besten auskennen.
Alle Scrum Master, die in den letzten Jahren bei cosee gearbeitet haben, sind PsychologiestudentInnen. Primär in den Bereichen Arbeits- und Organisationspsychologie, Supervision und Coaching lernen sie eine Menge Dinge, die ihnen die tägliche Arbeit erleichtern. Kern ihrer Ausbildung ist, Menschen zu verstehen, Probleme zu erkennen und Kommunikation zu fördern. Und genau das sind unserer Meinung nach die essentiellen Dinge, die ein Scrum Master tut.
Der Kompetenzbereich eines Psychologen scheint der Allgemeinheit oft nicht klar zu sein. Vielleicht rührt die Verwirrung daher, dass im Volksmund die Berufsbezeichnungen Psychiater, Psychotherapeut und Psychologe, aber auch Heilpraktiker, Berater und Coach vermischt und verwechselt werden. Setzt man sich ein wenig mit dem Berufsbild auseinander, wird schnell klar, dass ein Bachelor- oder Master-Psychologe weder therapiert, noch Medikamente verschreibt und auch nichts weiter mit Freud zu tun hat. Stattdessen setzt er sich beispielsweise damit auseinander, unter welchen Umständen ein Mensch motiviert arbeitet, oder welche Führungsstile in welchen Konstellationen am besten einzusetzen sind. Oder er prüft, welche Teamprozesse gerade greifen und wie er diese unterstützten kann. Er analysiert, wie ein Mensch am besten lernt und welche Methoden geeignet sind, um einen Perspektivenwechsel herbeizuführen. Bedenkt man diese Aspekte, erscheint es nicht nur möglich, sondern mehr als logisch, einen Psychologen als Scrum Master einzustellen.
Es ist natürlich nicht von der Hand zu weisen, dass es ein Vorteil ist, sich ebenso in der technologischen Domäne etwas auszukennen. Man findet sich schneller im Kontext zurecht, kann technischen Diskussionen leichter folgen und kennt die täglichen Herausforderungen eines Software-Entwicklungsteams. Diese Sachen machen die Arbeit als Scrum Master zu Beginn eventuell etwas einfacher, sind jedoch keine Voraussetzung dafür, ein guter Scrum Master zu werden.
Zwei unserer bisherigen vier Scrum Master sind reine Psychologinnen. Zu Beginn setzten sie sich mit einer Menge neuer Fachbegriffe wie Branch, Master, Merge, Mock Up und einigen domänenspezifischen Ausdrücken auseinander. Diesen Jargon kennt ein Software-Entwickler bereits und muss ihn sich nicht noch aneignen. Psychologen sind aber daran gewöhnt, auf der Metaebene zu denken und wissen, wie sie sie beeinflussen. Dafür müssen sie die Fachdomäne nicht detailliert kennen.
Letztendlich wollen Scrum Teams ihre Ziele erreichen und tragen gemeinsam die Verantwortung dafür. Darum bestehen unsere Teams aus Experten, die T-Shaped sind.
Ein Beispiel: Die Kernkompetenz eines Backend-Entwicklers liegt im Backend. Trotzdem hat er eine grobe Ahnung davon, wie das Frontend funktioniert. Außerdem sind ihm die wirtschaftlichen und gestalterischen Hintergründe der Anforderungen klar und er arbeitet bewusst daran, die Zusammenarbeit in seinem Team zu verbessern. Alle Entwickler bei cosee werden zu T-Shaped Personalities ausgebildet. So verteilt sich die Verantwortung für die Software-Entwicklung aber eben auch für die Team-Prozesse auf die Schultern aller.
Diese T-Shaped Personality ist ebenso auf einen Scrum Master zu übertragen: Seine Kernkompetenz ist die Weiterentwicklung des Teams und des agilen Gedankens. Dennoch versteht er, warum die Backend-Entwickler beispielsweise eine bestimmte Technologie gewählt haben oder warum eine Business-Entscheidung so und nicht anders gefallen ist.
Wir machen seit mittlerweile fast zwei Jahren sehr gute Erfahrungen damit, Psychologen als Scrum Master einzustellen. Psychologen sind fachlich distanzierter und lenken ihre Aufmerksamkeit und Energie auf andere Dinge als die Softwareentwicklung. Das stößt bei Außenstehenden zunächst häufig auf Verwunderung, schlägt aber stets schnell in Neugier um. Letztendlich haben wir immer positives Feedback für unsere Entscheidungen bekommen und sind selbst mehr als zufrieden mit der Maßnahme, Psychologen als Scrum Master einzusetzen.