Produkttipps – KI ist am Anfang meist MI

Lesezeit: 3 Min, veröffentlicht am 04.04.2025
Produkttipps – KI ist am Anfang meist MI

Die meisten KI-Produkte scheitern nicht aus technischen Gründen. Oft hat der Anbieter schon viel Geld investiert, wenn er feststellt, dass die Zielgruppe das Produkt nicht akzeptiert. Mit zwei einfachen Arten von Prototypen könnt ihr dieses Risiko aber stark reduzieren.

Welches Problem wollt ihr für eure Kundinnen und Kunden lösen? Welche Bedürfnisse wollt ihr stillen? Das ist einer der zentralen Aspekte eurer Produktstrategie. In unserem Product Vision & Strategy Canvas ist es das mittlere Feld in der oberen Reihe. Damit verbunden sind die wichtigsten Features eures Produkts (im Feld daneben).

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Die unten dargestellte Product Market Fit-Pyramide von Dan Olsen zeigt sehr schön den Zusammenhang zwischen Bedürfnissen & Problemen („Underserved Needs“) und eurem Wertangebot bzw. Features („Value Proposition“).

Visualisierung KI vs MI 1

In letzter Zeit scheint alles „mit KI“ zu sein. Es gibt offenbar kaum noch ein Produkt, dass ohne den Einsatz künstlicher Intelligenz auskommt. Startups sagen sogar hinter vorgehaltener Hand, dass sie nur Geld von Investoren bekommen, wenn ihr Produkt auf KI basiert. Für den sehr wahrscheinlichen Fall, dass ihr nicht eine Firma wie Open AI seid, ist KI aber immer nur das Mittel zum Zweck. Ihr wollt etwas, das auch Menschen mit menschlicher Intelligenz erbringen könnten, mit KI skalieren; z.B., weil der Einsatz von Menschen für eine breite Kundenbasis einfach zu aufwändig bzw. zu teuer wäre.

Visualisierung KI vs MI 2

Die Risiken solcher Produkte liegen in den meisten Fällen nicht im Einsatz der KI, sondern eines der vier Produktrisiken, die Marty Cagan beschrieben hat. Sehen wir uns das mal am Beispiel eines Modeprodukts an. Es soll mir helfen, alle meine Kleidungsstücke digital zu erfassen und danach meinen Kleiderschrank zu entrümpeln:

  • Value Risk: Die Zielgruppe ist vielleicht schlicht und ergreifend der Meinung, dass ihr Kleiderschrank so gut ist, wie er ist und sie viel besser allein ausmisten können. Möglicherweise ist es für sie auch eine schöne Freizeitbeschäftigung, die einzelnen Kleidungsstücke noch mal anzuprobieren oder auszusortieren.
  • Usability Risk: Die Erfassung der Kleidungsstücke ist für den durchschnittlichen deutschen Kleiderschrank viel zu aufwendig und die Menschen verlieren die Lust, bevor sie einen Nutzen aus dem Produkt ziehen können.
  • Business Viability Risk: Falls sich die App über Affiliate Links finanziert, könnte es passieren, dass einfach zu wenig Umsatz zusammenkommt, um die Produktentwicklung und -pflege zu rechtfertigen.

Es ist viel sinnvoller, diese drei Risiken vorab durch einfache Prototypen zu testen als direkt mit der Entwicklung einer komplexen KI-Lösung zu beginnen. Aber wie geht das? Durch den Einsatz von MI, also menschlicher Intelligenz. Dafür gibt es zwei Optionen: einen Concierge- oder einen Wizard-of-Oz-Prototyp, die beide im Buch „The Lean Startup“ von Eric Ries beschrieben sind. Dabei wird die Kerndienstleistung in beiden Fällen durch Menschen erbracht. Der wesentliche Unterschied ist, ob die Kunden merken, dass es sich auf der anderen Seite um einen Menschen handelt. Beim Concierge-Prototyp ist das der Fall, beim Wizard-of-Oz-Prototyp nicht.

Visualisierung KI vs MI 3

Bezogen auf die Modeberatung würde ein Kunde z. B. im ersten Fall einfach Fotos all seiner Kleidungsstücke machen und hochladen. Danach gibt es ein interaktives Beratungsgespräch per Videokonferenz mit einer Expertin oder einem Experten des Produktanbieters. In diesem Beispiel könnte es für die Menschen zu intim sein, so etwas Privates wie ihre Kleidungsstücke mit einem Menschen zu teilen. Es könnte sie auch mit Scham erfüllen, dass der Mensch gegenüber vielleicht schlecht von ihnen denkt, weil sie so unglaublich viele Kleidungsstücke besitzen. Dann ist wahrscheinlich ein Wizard-of-Oz-Prototyp besser geeignet. Auch hier werden die Fotos hochgeladen und durch einen Menschen gesichtet, die Kunden bekommen es aber nicht mit. Sie müssen sich folglich auch nicht schämen.

Bislang bin ich auf das vierte Risiko noch gar nicht eingegangen: das Feasibility Risk. Hier kann tatsächlich ein Risiko lauern, dass ihr die menschliche Intelligenz nicht ausreichend digitalisiert bekommt. Diesen Aspekt solltet ihr aber erst in Angriff nehmen, sobald ihr die anderen Risiken mit einfachen Prototypen im Griff habt. Denn sie bieten in der Regel viel mehr Sprengstoff für euer Produkt.

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Konstantin

Konstantin ist CTO bei cosee und Spezialist für SCRUM und agile Softwareentwicklung.