Wie kann ich mein Produkt so aufstellen, dass es sich quasi von selbst verkauft? Sind alle SaaS-Produkte dafür geeignet oder welche Kriterien sind wichtig? Warum sind Chat und Geburtstagseinladungen gute Beispiele für einen sogenannten Product-led Growth-Ansatz? …
Lange Jahre wurden Softwareprodukte über Vertriebler an den Kunden gebracht. Der Kunde hat sich entweder im Internet oder auf Messen informiert und wendet sich selbst an den Vertrieb (Inbound) oder der Vertrieb spricht potenzielle Kunden über Methoden wie Kaltakquise an (Outbound) und macht sie so auf das Produkt aufmerksam. Unabhängig wie der Erstkontakt zustande kommt, begleitet der Vertriebler im Folgenden den Verkaufsprozess (zum Beispiel durch Demos und Angebotspräsentationen).
Das Internet und Software-as-a-Service-Produkte (SaaS) ermöglichen mittlerweile auch andere Vertriebsansätze. Product-Led Growth ist einer dieser Ansätze, der bewusst unterschiedlich zum klassischen als Sales-led bezeichneten Ansatz ist. Wes Bush ist sicher nicht der Erfinder, aber er hat die Prinzipien im Buch „Product-led Growth“ beschrieben. Product-led Growth ist aus seiner Sicht eine Markteintrittsstrategie, die das Produkt selbst als primäres Werkzeug nutzt, um Interessenten anzulocken, diese Interessenten als Kunden zu gewinnen und diese Kunden zu halten („Product-Led Growth is a go-to-market strategy that relies on using your product as the main vehicle to acquire, activate, and retain customers.“). In einem reinen Product-led Growth-Ansatz verkauft sich das Produkt sozusagen von selbst. Wie aber funktioniert dieser Ansatz?
Seit spätestens den 2000er-Jahre ist es sowohl im B2C-, als auch im B2B-Bereich gang und gebe, sich vor dem Kauf eines Produkts im Internet zu informieren. War es am Anfang ein reines Informieren, also ein Einholen von Informationen über das Produkt, weil es sich auch vor allem um physische Produkte wie Elektrogeräte handelte, ist es heute so, dass die Kunden SaaS-Produkte auch gerne ausprobieren wollen, um sich einen guten Eindruck zu verschaffen („Three out of every four Business to Business (B2B) buyers would rather self-educate than learn about a product from a sales representative, according to Forrester.“). Am Ende ist Product-led Growth nur die logische Folge aus dieser Konsequenz. Der Kunde ist direkt „im Produkt“ und beginnt mit der Nutzung. Wichtig ist, dass er dabei gleich den Nutzen spürt, den er sich von dem Produkt erwartet.
Slack oder Canva sind gute Beispiele für diesen Ansatz. Menschen, die auf der Suche nach einer Group Chat-Lösung waren, stießen früher oder später auf Slack. Dort konnten sie direkt loslegen, beliebig viele Channels anlegen und sich mit ihren Kollegen oder Freunden organisieren und Nachrichten sowie Dokumente austauschen. Aber der Hunger kommt bei solchen Lösungen sprichwörtlich mit dem Essen. Slack schneidet die Chat-Historie in der kostenlosen Variante nach einem bestimmten Zeitraum ab und entfaltet seine ganze Nützlichkeit auch erst mit Integrationen (externen Plugins). Die Nutzer sind zu dem Zeitpunkt, wenn sie diese Restriktionen spüren, aber schon fest vom Nutzen von Slack überzeugt. Also versuchen sie in ihrer Organisation, „eine Kreditkarte aufzutreiben“, um weiter in den Genuss des vollen Werts zu kommen. Canva ist ein ähnliches gutes Paradebeispiel für Product-led Growth. Ich kann als Nutzer direkt über die Suchmaschine in das Produkt einsteigen und bekomme sofort Wert geliefert. Ich habe in dem Beitrag über „die richtigen Features“ und das Kano-Modell bereits über die Situation geschrieben, wenn ich eine Einladungskarte gestalten will. Ich gelange von der Google-Suche direkt in Canva mit schönen Vorlagen für Einladungen und kann sie mir gestalten. Beiden Lösungen ist gemein, dass Nutzer eine sehr geringe Einstiegshürde haben und dass sie direkt kostenlos einen Teil des Wertes bekommen. Sind diese beiden Kriterien für euch erfüllt, könnt ihr Product-led Growth vermutlich anwenden.
Der Ansatz ist sicher auch kein Heilsbringer, so ist er nach Aussage von Wes Bush zum Beispiel nicht oder nur schlecht für Nischenmärkte geeignet. Außerdem beschreibt er vier Kriterien, anhand derer man entscheiden kann, ob das eigene Geschäftsmodell für Product-led Growth taugt und ob sich eher ein Free-Trial- oder ein Freemium-Ansatz lohnt:
All diese Fragen könnt ihr anhand eurer Produktstrategie beantworten, die ihr zum Beispiel mit unserem Product Vision & Strategy Canvas modelliert habt.
Ich habe noch ein weiteres Beispiel aus unserer Praxis für euch. 2024 haben wir für eine Kundin eine Online-Anwaltskanzlei entworfen und umgesetzt. Dieses Produkt passt sehr gut zu einem Product-led Growth-Ansatz. Potenzielle Mandaten googeln etwas wie „Streit mit dem Vermieter“ und laden direkt in der Kanzlei. Dort bekommen sie eine kostenlose Erstberatung, die ihr Problem vielleicht schon löst. Wenn sie weiterhin Unterstützung benötigen können sie sie kostenpflichtig in Anspruch nehmen. Die Kundin ist in einen Blue Ocean-Markt eingetreten, in dem es kaum Wettbewerb gibt, interagiert direkt mit der Zielgruppe und lässt ihre Mandanten den Wert des Produkts nach sehr kurzer Zeit erleben. Im folgenden Video könnt ihr mehr über die Strategie des Produkts erfahren.
Product-led zu arbeiten, bedeutet nicht unbedingt, dass es kein Sales Team mehr gibt. Dieses Team bekommt qualifizierte Leads dann allerdings direkt aus dem Produkt selbst.